Wednesday, June 14, 2006

Digitaler Maoismus?

Im Online-Magazin Edge gibt es eine interessante Diskussion zum Thema Kollektiv/Individuum.

Jaron Lanier schreibt unter dem Titel “Digital Maoism: The Hazards of the New Online Collectivism”.

Es gibt schon eine Anzahl von Reaktionen darauf, beispielsweise von Douglas Rushkoff, Quentin Hardy, Yochai Benkler, Clay Shirky, Cory Doctorow, Kevin Kelly, Esther Dyson, Larry Sanger, Fernanda Viegas & Martin Wattenberg, Jimmy Wales, George Dyson, Dan Gillmor, Howard Rheingold.

Am Beispiel Wikipedia argumentiert Lanier, dass heute das Kollektiv, der Schwarm als allwissend betrachtet wird, eine Einstellung, die in der Geschichte schreckliche Folgen gehabt habe und die heute von Technologen und Futuristen wieder eingeführt würde.

Es fällt mir schwer, in den gemeinschaftlichen Bemühungen der Menschen, die an der Wikipedia arbeiten, auch nur den Ansatz von Totalitarismus zu entdecken. Die Arbeit, die unzählige Menschen für dieses Projekt leisten erfolgt auf freiwilliger Basis und auf Grund freier Entscheidungen. Man mag vielleicht die Einzelpersonen hinter den Beiträgen nicht namentlich kennen, aber es sind in vielen Bereichen ExpertInnen und SpezialistInnen am Werk. Zudem wird die Enzyklopädia Britannica gegen die Wikipedia ausgespielt, was nicht nötig ist: man kann doch beides verwenden. Und auch die Britannica war nie allwissend und konnte nie alle Standpunkte berücksichtigen. Wenn ein Experte in einem Fachgebiet mit den Einträgen der Britannica nicht zufrieden ist, kann er wenig dagegen unternehmen. In der Wikipedia kann man mitarbeiten und das alles verbessern.

Douglas Rushkoff schreibt: “Projects like Wikipedia do not overthrow any elite at all, but merely replace one elite — in this case an academic one — with another: the interactive media elite”. Ich würde es nicht so drastisch ausdrücken, da die alte akademische Elite noch ziemlich lebendig und von einer Ablöse keine Rede ist - aber es gibt die neue interaktive Medienelite auf jeden Fall, bzw Menschen, die beiden Gruppen angehören und das ist gut so.



4 Comments:

Blogger Energiesparlampen said...

Ich begegne dem Artikel mit Paul Feyerabends Buch "Erkenntnis für freie Menschen". In diesem Zusammenhang: Ich finde Wissenschaft sollte langsam demokratisiert werden. Vielleicht wird es eines Tages eine neue Art von Wissenschaftscommunity geben, jenseits von geschlossenen meritokratischen Zirkeln alter verstaubter Männer.

10:48 AM  
Blogger francessa said...

Feyerabend war ja, glaube ich, auch ein ziemlich freiheitsliebender und unangepasster Mensch. Zur Wissenschaftscommunity: Ich würde es hoffen. Man kann aber selbst bei - manchen - jungen Wissenschaftlern ausgeprägtes Klüngel- oder Revierverhalten beobachten. Andererseits findet man gerade im Netz wieder so viele Menschen, die anders denken oder Biografien haben, die nicht den erwünschten akademischen Biografien entsprechen, somit zB nie an der Britannica mitarbeiten dürften, die aber für die Wikipedia - und somit für uns alle - ausgezeichnetes Material erarbeiten.

11:16 AM  
Blogger Energiesparlampen said...

Das würde ich auch so sehen. Die Emanzipation des Menschen. Am Anfang (wann war es?) war die Wissenschaft eine Beschäftigung wohlhabender Privatbürger, dann kam der Berufswissenschaftler. Jetzt kommt der Paradigmenwechsel, vielleicht. Vielleicht kommt tatsächlich eine neue Art intellektueller Existenz. Ich würde es mir wüschen,weil ich von der aktuellen gefühlten akademsichen Temperatur nicht überzeugt bin. Vielleicht passiert etwas, wenn die konstruktivistische Baustelle und systemisches Denken sich als theoretische Heimat im Elfenbeinturm durchsetzten und die Zirkeln dann wirkliche Perturbationen von Außen zulassen müssen. Die Perturbation kann nur von Außen kommen, aber was ist das Außen? Für den Bereich der Wirtschaftswissenschaften würde ich z.B. die Bewegnung der Postautisten als eine von Außen wirkende Kraft beschreiben. Es müsste aber eine Perturbation geben, die eben nicht auf den Rekrutierungstraditionen der Wissenschaft beruht.

Soweit

Jarek

11:51 AM  
Blogger francessa said...

Ich denke auch, dass der Paradigmenwechsel bereits in vollem Gange ist. Perturbationen von Außen sehe ich zB in den unentwegten Anstößen der neuen interaktiven Intelligenz, die online - wo auch immer - ungehindert von akademischen Zwängen und systemisch bedingten Beschränkungen ihre Meinungen, Thesen etc. präsentiert und diskutiert und eine Fülle von Denkanstößen liefert. Es ist ja auch immer öfter zu beboachten, dass der Elfenbeinturm auf solche Anstöße reagieren muss, weil er sie einfach nicht mehr ignorieren kann.

1:51 AM  

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